„Das Thema Autoproduktion interessiert einfach alle!“

Der 48-jährige Giacomo Cammisano hat vor 31 Jahren als Azubi bei Volkswagen begonnen, arbeitete zwei Jahre in der Montage, ein Jahr im Karosseriebau und von 1997 bis 2000 in der Abteilung Forschung und Entwicklung. Seitdem gehört er zum Team der Guest Relations und hat in dieser Zeit rund 20.000 Werksführungen absolviert.

TEXT: FRANK WALD
FOTOS / VIDEO: NILS HENDRIK MÜLLER / HENRIK HEUTGENS
20.12.2022

Herr Cammisano, was sind die Highlights Ihrer Tour? Was sorgt für den großen Wow-Effekt?

Jeder hat da seine eigenen Vorlieben. Der eine mag die gewaltigen Pressen, der andere die Logistik. Andere finden Technologie und Karosseriebau ganz toll. Die Hochzeit ist immer ein Highlight. Die Roboter an sich sind auch beeindruckend. Ich versetze mich dabei immer gern in die Situation der Besucher, weil ich mich gut erinnern kann, wie ungläubig staunend ich beim allerersten Mal vor diesem Roboterballett gestanden habe.

Gibt es eine bestimmte Choreografie oder Vorgehensweise, mit der Sie ihre Touren gestalten?

Na klar, bei Jugendlichen kann man nicht so moderieren wie bei Vorständen, bei Familien anders als bei Volkswagen Mitarbeitern. Aber es gibt keinen vorgegebenen Text. Ich baue meine Touren immer so auf, dass ich über das rede, was ich gerade sehe, selbst erlebe und was mich begeistert. Also, wenn dort ein Golf über den Köpfen schwebt, erzähle ich vielleicht was über den Motor, das Getriebe, oder gar den Tank, den man von unten sieht. Ein seltener Anblick. Oder wenn uns ein Logistikfahrzeug begegnet, erzähle ich darüber, was es geladen hat oder für welches Modell es geliefert wird. Ich versuche immer eine Verbindung herzustellen.

Ihre Touren sind in jedem Fall sehr unterhaltsam. Wofür können Sie sich selbst noch begeistern?

Ich habe das große Glück, mein Hobby zum Beruf zu machen. Schon immer habe ich für Volkswagen gebrannt, für die Neuigkeiten, die Technologie, in der Produktion und die Modelle natürlich. Deshalb habe ich in jeder Abteilung, in der ich war, die Informationen aufgesogen. Und hier kann ich das täglich anwenden. Das ist genau meins: Mit Menschen zu tun zu haben und denen meine Begeisterung herüberzubringen.

Da gab es doch bestimmt ungewöhnliche Ereignisse?

Das Kurioseste ist vielleicht meine eigene Geschichte. Als ich damals in der Halle 54 in der Endmontage arbeitete, kam diese Besucherbahn auch immer vorbei. Da habe ich als junger Mann immer gedacht: Wow! Das wäre meins. Mit Menschen aus aller Welt zu interagieren, mit den verschiedensten Kulturen und Sprachen in Berührung zu kommen, von denen ich ja nun auch einige spreche. Und der große Zufall hat es möglich gemacht. Deshalb weiß ich das, was ich jetzt tue, umso mehr zu schätzen.

Werden Sie im Werk mit Ihren Touren gern gesehen? Sind sie willkommene Abwechslung oder stören sie eher den Arbeitsablauf?

Grundsätzlich sind wir immer gern gesehen. Normalerweise grüßen die Kollegen nur kurz und arbeiten einfach weiter. Doch es gilt: die Logistik hat immer Vorrang. Solange man das beherzigt, gibt es da keine Probleme.

Wie setzen sich die Besuchergruppen zusammen? Sind Werkbesichtigungen reine Männersache?

Nein, es ist wirklich erstaunlich, wie viele Frauen dabei sind. Man kann schon sagen, es ist ungefähr Hälfte-Hälfte. Das Thema Auto und Autoproduktion interessiert offenbar alle.

Gibt es häufig Fragen oder Feedback von den Besuchern?

Während der Werktour ist es schlecht möglich für die Besucher Fragen zu stellen. Deswegen kommen wir an Ende der Tour immer zusammen, um uns noch für sie ein wenig Zeit zu nehmen, falls noch Fragen offen sind. Ich versuche meine Besucher auch mit einzubinden, in dem ich selbst Fragen stelle. So entsteht oft ein Dialog. Das Feedback nach einer Werktour ist durchweg positiv.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach dieses Werk gegenüber den anderen Volkswagen Fabriken weltweit aus?

Es ist natürlich die Zentrale. Von hier wird alles gesteuert. Nicht zuletzt ist es unter anderem die Geburtsstätte des Käfers und des Golfs. Letzterer wird auch immer noch hier für den weltweiten Markt, mit Ausnahme von China, gebaut. Und dann gibt es auch noch die Abteilung „Forschung und Entwicklung“ – mit über 11.000 Mitarbeitern einer der größten Entwicklungsstandorte weltweit.

„Das ist genau meins: Mit Menschen zu tun zu haben und denen meine Begeisterung herüberzubringen.“

Giacomo Cammisano

Schwere körperliche Arbeit sieht man fast nicht mehr in der Produktion. Das Auto wird den Mitarbeiten an den Montagelinien quasi von den Maschinen angereicht…

Wenn ich auf meine 31 Jahre bei Volkswagen zurückblicke, sehe ich, wie es im Vergleich viel leichter geworden ist. Durch die Drehungen und Schräglagen der Karosserien gibt es sowas wie Über-Kopf-Arbeiten beispielsweise fast gar nicht mehr. Wobei, wenn Sie oder ich dort auf Anhieb eine Woche arbeiten müssten, würden wir uns danach auch fragen, wer hier was von leichter Arbeit gesagt hat.

Wird die Fabrik der Zukunft ohne Menschen auskommen? In ihrem Karosseriebau liegt der Automatisierungsgrad schon jetzt bei über 90 Prozent.

Machen wir uns nichts vor: Noch kann der Roboter einen Menschen in Genauigkeit, Beweglichkeit und vor allem Gefühl und Intuition nicht eins zu eins ersetzen. Kann der Roboter fühlen, wie stark ein Teil festgezogen werden kann, damit es wirklich sitzt? Oder kann er entscheiden, ob er ein Bauteil nicht doch noch mal besser kontrolliert? Der Roboter arbeitet sein Programm ab. Aber auch das kann und wird sich in Zukunft ändern.