Ein Federgewicht mit 210 PS

Adrenalin und Emotion pur verspricht Anfang der 1970er-Jahre ein ganz besonderer Sportwagen: der Porsche 911 Carrera RS 2.7. Das in Deutschland seinerzeit schnellste und erste Serienmodell mit Bug- und Heckspoiler bricht technisch gleich mehrere Rekorde. Auch knapp 50 Jahre nach seinem Debüt hält die Faszination für das Kultauto aus Zuffenhausen an. Eine Erfolgsgeschichte.

TEXT: KATRIN WEIDEN
FOTOGRAFIE: GETTY IMAGES/HERITAGE IMAGES/KONTRIBUTOR / PORSCHE AG
28.02.2023

Von null auf 100 km/h innerhalb von 5,8 Sekunden: Mit dieser Beschleunigung durchbricht 1972 der Porsche 911 Carrera RS 2.7 die magische Sechs-Sekunden-Marke der deutschen Fachzeitschrift „Auto Motor und Sport“ und lässt die Herzen von Rennwagenfans höherschlagen. Die neue 911-Variante für den Renn- und Rallyesport zeigt schnell, dass sie allen anderen Rennwagen auf Piste und Straße überlegen ist. Der Name des Supersportlers? Mehr als Programm: Carrera weist auf den Rennmotor im Heck hin, 2.7 steht für den Hubraum von 2.687 Kubikzentimetern, RS ist das Kürzel für Rennsport. Das technisch innovative Basisfahrzeug erklimmt nicht nur eine neue Leistungsstufe, es wird buchstäblich zum Renner. Indem er die Elfer-DNA auf ihren Kern reduziert, wird der Carrera RS 2.7 zum Urmaß für die weitere Entwicklung der 911-RS- und GT-Fahrzeuge. Und er begründet einen Trend – den Heckspoiler bei Serienfahrzeugen.

Berühmter Bürzel

Es ist dieses keilförmige Etwas auf seiner Heckklappe, dem der 911 Carrera RS 2.7 seinen Spitznamen verdankt: Entenbürzel. Längst zum ikonisch-legendären Fahrzeugteil geworden, macht die ungewöhnliche Form – ein absolutes Novum – das Design- und Vertriebsteam von Porsche im Frühsommer 1972 fassungslos. Denn damals sind der 911 und andere Rennautos wie eine Tragfläche geformt – unten glatt, oben gewölbt und nach hinten spitz zulaufend. Doch eine solche Form verursacht Auftrieb, und Auftrieb bedeutet eine schlechtere Performance. Ein Argument, das die Kritiker überzeugen wird, schließlich sind im Rennsport Hundertstelsekunden entscheidend. Ziel der Ingenieure Hermann Burst und Tilman Brodbeck sowie des Stylisten Rolf Wiener ist es also, die Aerodynamik des 911 zu verbessern, um den Auftrieb an Vorder- und Hinterachse zu minimieren. Im Windkanal experimentieren sie zunächst mit Holzklötzen und dünnen Blechen, mit denen sie eine Abrisskante erzeugen. Nach nur zwei Versuchstagen schrumpft der Auftriebsbeiwert (cA) am Heck um zwei Drittel, von 0,29 cA auf 0,08 cA, die Höchstgeschwindigkeit wächst auf damals atemberaubende 240 Stundenkilometer. Vom Labor geht es auf die Piste, um die genaue Höhe und Breite des Heckspoilers festzulegen. Der Entenbürzel schafft es, dass der 911 Carrera RS 2.7 bei schneller Fahrt Richtung Straße gedrückt und der Heckmotor mit zusätzlicher Kühlluft versorgt wird. Ursprünglich als Nachrüstsatz gedacht, erhält der 911 Carrera RS 2.7 das Set aus Heck- und Bugspoiler als Serienausstattung – und löst weltweit eine regelrechte Spoiler-Welle aus.

So leicht wie möglich

Dann geht es Schlag auf Schlag: Nach einer unglaublichen Entwicklungszeit von knapp drei Monaten melden die drei Porsche-Mitarbeiter am 5. August 1972 den Entenbürzel unter der Nummer 2238704 beim Deutschen Patentamt an. Genau drei Monate später, am 5. Oktober 1972, wird das neue Modell auf der Automobilmesse „Pariser Autosalon“ an der Porte de Versailles in Paris vorgestellt. Bis Ende November sind alle 500 Wagen verkauft – ein Erfolg, von dem Porsche überrascht wird. Warum aber eine Kleinserie von 500 Stück? Der Autohersteller hat exakt die vom Verband FIA geforderte Stückzahl produziert, denn der 911 Carrera RS 2.7 ist als Homologationsfahrzeug für den Motorsport gedacht. Schnell und vor allem leicht soll er sein. Es ist dieser konsequente Leichtbau, der ihn besonders macht. Die Entwickler kämpfen um jedes Gramm, um ein Federgewicht von 900 Kilogramm zu erreichen und damit die Regularien zu erfüllen. Alles, was nicht unbedingt zum Fahren benötigt wird, kommt auf ihre Streichliste: Rücksitze, Armlehnen, Kleiderhaken, Teppiche, Uhr oder Beifahrersonnenblende. Leichte Sitzschalen ersetzen schwere Sportsitze, die Scheiben bestehen aus leichtem Dünnglas, Spoiler und Motorhaube aus Kunststoff, das Dämmmaterial entfällt.

Von der Straße auf die Piste

Auch am Motor und dem Fahrwerk setzen die Ingenieure an: Sie entwickeln einen 2,7-Liter-Sechszylinder-Boxer mit Benzineinspritzung, der 210 PS bei 6.300 U/min leistet. Und der 911 Carrera RS 2.7 erhält als erstes Porsche-Serienfahrzeug verschiedene Reifengrößen an Vorder- und Hinterachse, um das Fahrverhalten zu verbessern. Heraus kommt ein Fahrzeug mit Straßenzulassung für Käufer, die auch an Rennen teilnehmen möchten. 1.580 Stück produziert Porsche, davon 200 in der Leichtbauversion Sport und 1.308 in der komfortablen Touring-Version. Schon in der ersten Saison gewinnt der stärkste Porsche drei internationale und sieben nationale Meisterschaften, zahlreiche Siege in den nächsten Jahren folgen. Auch noch 50 Jahre später beeindrucken seine technischen Daten: Der 911 Carrera RS 2.7 ist einfach die perfekte Synthese von Aerodynamik, Leistung, Gewicht und Fahrverhalten.

Technische Daten

  • Sportwagen mit Heckmotor in Boxer-Bauweise
  • Länge: 4,15 Meter
  • Breite: 1,65 Meter
  • Höhe: 1,32 Meter
  • Radstand: 2,27 Meter
  • Kofferraumvolumen: ab 200 Liter
  • Leergewicht ca. 900 kg (trocken), 960 kg (mit gefülltem Tank), 975 kg (Sport in Serienversion)
  • 2,7-Liter-Sechszylinder-Benziner in Boxerbauweise
  • 5-Gang-Getriebe
  • 154 kW/210 PS
  • Leistungsgewicht 4,29 kg/PS
  • max. Drehmoment 255 Nm bei 5.100/min, Hinterradantrieb
  • 0–100 km/h: 5,8 s, Vmax: 245 km/h
  • Normverbrauch: 10,8 Liter Normalbenzin

Carrera-Spirit in der Autostadt

Ab in die 1970er Jahre! Anlässlich des 50. Geburtstages des Porsche 911 Carrera RS 2.7 können Sie die Sonderausstellung „The Spirit of Carrera RS“ im ZeitHaus erleben. Dort gibt es drei besonders spannende Exponate sowie Film- und Infomaterial zum automobilen Klassiker zu entdecken.