„Aus Niederlagen lernst du am meisten“

Der Boom des Frauenfußballs macht Svenja Huth stolz. Die erfahrene Bundesliga- und Nationalspielerin trägt seit 2019 das Trikot des VfL Wolfsburg. Sie genießt das Wechselspiel aus Toren, Titeln, Triumphen, Tränen und Teamgeist.

Text: Christian Otto
Fotos / Video: Roman Pawlowski
17.10.2023

Sie sammeln mit den Fußballfrauen des VfL Wolfsburg seit Jahren Siege und Titel in Serie. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Mannschaft und Verein?
Harte und akribische Arbeit. Der VfL Wolfsburg steht für Professionalität und ein familiäres Umfeld. Deshalb fühlen sich die Spielerinnen hier extrem wohl. Das wird gepaart mit Konzentration, Fokus und Spaß. Wir haben Spielerinnen mit hoher individueller Qualität und sind ein starkes Kollektiv.

Was ist in Wolfsburg familiärer als in München oder Barcelona?

Auch wenn sich unser Team durch Abgänge und Neuzugänge immer wieder verändert: Das Familiäre bleibt. Wenn wir mitten in einem harten Trainingslager einen freien Abend haben, gehen nicht alle auseinander, sondern zusammen Abendessen. Es macht uns extrem stark, diesen Teamgeist zu leben. Auf dem Platz und neben dem Platz.

Sie bewältigen als Bundesligaprofi und Nationalspielerin einen anstrengenden Spagat. Was gibt Ihnen Kraft und die nötige Balance?
Ich bin meinem Körper extrem dankbar, dass er den Leistungssport so mitmacht. Ich sage aus Spaß immer, dass ich dauerhaft 19 Jahre alt bin. Und tatsächlich gratulieren mir meine Mitspielerinnen alle Jahre wieder zum 19. Geburtstag. Das hat sich irgendwie eingebrannt. Ich bringe das, was ich leisten kann, gut auf den Platz. Erholung finde ich zu Hause bei meiner Familie, bei der ich abschalten kann. Bei meiner Frau Laura und unserem Hund Jamie. Raus an die frische Luft, die Zeit mit der Familie genießen – das gibt mir Kraft.

Profis müssen auch mit Misserfolg umgehen. Wie haben Sie verarbeitet, dass der VfL zuletzt Vizemeister geworden und Deutschland bei der Weltmeisterschaft früh ausgeschieden ist?
Natürlich gehören Rückschläge zum Sport. Und aus Niederlagen lernst du am meisten. Aber direkt danach ist es sehr enttäuschend. Nach dem WM-Vorrundenaus mit der Nationalmannschaft haben wir vom Trainerteam des VfL Wolfsburg sehr lange frei bekommen. Es brauchte Zeit, um die Dinge zu verarbeiten, die passiert sind. Gerade für den Kopf ist das schwierig. Umso wichtiger ist es, zu Hause einen Ausgleich zu haben und neue Kraft zu tanken.

Sind Frust, Rückschläge und Tränen wichtige Erfahrungen? Gehören das Hinfallen und Aufstehen zum späteren Triumphieren?
Als Sportlerin fährt man zu einem Turnier, um bestmöglich einen Titel zu gewinnen. Aber nach Niederlagen reflektiert man mehr und analysiert viele Dinge. Wir sind beim VfL Wolfsburg selbst nach Siegen oft nicht ganz zufrieden. Das zeichnet uns aus. Wir sind immer hungrig und prüfen, was wir noch verbessern können.

In Deutschland wird besorgt darüber diskutiert, ob dem Sportlernachwuchs der nötige Elan oder eine angemessene Unterstützung fehlt. Was davon ist richtig?
Natürlich muss hinterfragt werden, warum es im deutschen Sport ein wenig stagniert. Talentierte Einzelspielerinnen kommen im Fußball nur noch vereinzelt nach oben. Dabei muss man beachten: Anders als bei den Männern gibt es im deutschen Frauenfußball noch kein einziges Nachwuchsleistungszentrum für Mädchen. Das ist ein Punkt, dem man angehen muss, um den Nachwuchs besser zu fördern. In vielen Bundesligavereinen gibt es immer noch Spielerinnen, die neben ihrem Sport 30 bis 40 Stunden pro Woche arbeiten.

Trotzdem erlebt der Frauenfußball nicht nur in Wolfsburg gerade einen Boom. Mehr Zuschauer, mehr TV-Geld, mehr Aufmerksamkeit: Wie stolz macht Sie das?
Sehr. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Es ist schön, das mitzuerleben. Gerade nach der Europameisterschaft 2022 war eine große Euphorie zu spüren. Unsere Länderspiele werden zu familienfreundlicheren Zeiten angepfiffen. Im Bundesligaalltag sind die Stadien voller. Nach den Spielen warten noch mehr Fans auf Autogramme. Das macht uns stolz. Wir versuchen, uns für die Fans möglichst viel Zeit zu nehmen und etwas zurückzugeben. Mit dem VfL wollen wir diesen Weg weitergehen. Mit der Nationalmannschaft wollen wir den Anschluss an andere Länder nicht verlieren.

Mehr öffentlicher Zuspruch ist auch mit mehr Interviewanfragen verbunden…

Der Mix ist immer noch gut. Wir versuchen, den Ansprüchen der Medien gerecht zu werden. Am Ende muss der Fokus auf dem Fußball bleiben. Was um uns und den Frauenfußball herum passiert, ist ein schöner Nebeneffekt und eine Bestätigung, dass wir mit unserem Sport mehr und mehr Interesse wecken.

Welche Art von Fanpost und Feedback berührt Sie besonders?
Es ist alles schön. Nach den Spielen, wenn die Fans Autogramme und Fotos wollen. Und seit der EM wird man als Nationalspielerin in der Freizeit häufiger erkannt. Mit den Menschen dann ins Gespräch zu kommen, ist wichtig. Der Frauenfußball steht dafür, dass er authentisch und nahbar ist. Mit den Fans ist ein gegenseitiges und schönes Miteinander entstanden.

„Wir sind beim VfL Wolfsburg selbst nach Siegen oft nicht ganz zufrieden. Das zeichnet uns aus. Wir sind immer hungrig und prüfen, was wir noch verbessern können.“

Svenja Huth

Der Fußball der Männer und Frauen wird weiterhin kritisch miteinander verglichen. Ärgert Sie das noch oder schmunzeln Sie längst darüber?
Solche Themen werden viel von außen an uns herangetragen. Wir vergleichen uns gar nicht mit den Männern, sondern versuchen den Frauenfußball bestmöglich zu repräsentieren. Es wäre gut, mit den Männern an einem Strang zu ziehen – zum Beispiel mit gemeinsamen Marketingaktivitäten. Dann wäre es möglich, voneinander zu profitieren.

Wovon träumen Sie nach Ihrer Karriere?
Es ist wichtig, für die Karriere nach der Karriere vorzusorgen. Nach meinem Schulabschluss habe ich eine Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation abgeschlossen. Dazu kam eine Weiterbildung im Sportmanagement. Das hat als Fernstudium mit aufgezeichneten Onlinevorlesungen zwischen all den Fußballterminen gut geklappt. Aktuell mache ich noch zwei IHK-Abschlüsse in Richtung Finanzberatung. Ich möchte mich für die Zeit nach dem Fußball möglichst breit aufstellen. Es wäre schön, dem Fußball nach all den schönen Momenten und Erlebnissen erhalten zu bleiben. Nur Trainerin werde ich auf gar keinen Fall.

Sie sind seit kurzem stolze Mutter des kleinen Emil. Was wird er zuerst erleben: einen Autostadt-Besuch oder einen Stadionbesuch?
Da muss ich ganz ehrlich sagen: Das wird ein Fußballspiel sein. Es ist mein größter Traum, mit meinem Sohn bei einem Heimspiel gemeinsam in das Stadion einzulaufen. Aber die Autostadt werden wir auch sehr zeitig besuchen. Wir waren zuletzt beim Lea-Konzert. Das ist eine total schöne Umgebung. Die Atmosphäre in der Winterwelt ist auch immer sehr schön. Die Autostadt ist mit viel Liebe zum Detail organisiert und hergerichtet.

Wenn Emil im Führerscheinalter ist, leben wir in einer moderneren Welt. Wie stellen Sie sich das Leben Ihrer Familie und die Mobilität rund um 2040 vor?
Ich möchte gar nicht so weit nach vorne gucken, sondern viel lieber im Hier und Jetzt leben und den Moment genießen. Wir werden auch 2040 noch Auto fahren oder uns von Autos fahren lassen. Die Digitalisierung hat jetzt schon vieles vorangetrieben. Ich würde mir wünschen, dass sich das Leben zwischen Technisierung und Normalität die Waage hält.

Zur Person


Ihre Konstanz verblüfft. Svenja Huth hat schon mehr als 500 Pflichtspiele auf gehobenem Niveau bestritten – von der nationalen U15-Auswahl bis in die Frauen-Nationalmannschaft und vom normalen Bundesligaspiel bis zum Champions League-Finale. Tempo, Teamgeist und Torgefahr: Die 32-Jährige vereint viele Qualitäten. Beim VfL Wolfsburg und in der Nationalelf ist die Torjägerin seit mehreren Jahren unumstrittene Führungsspielerin.