Leere Weingläser im Drei-Sterne-Restaurant Aqua

Sterneküche ohne Wein – wie die perfekte Essensbegleitung auch alkoholfrei gelingt

Anne-Helene Herpers ist in nur sechs Jahren an die Spitze ihres Faches aufgestiegen. Die gelernte Sommelière arbeitet in einem der besten Restaurants der Welt, dem „Aqua“ im The Ritz-Carlton, Wolfsburg. Dort sucht sie so gekonnt flüssige Begleitungen zur 3-Sterne-Küche von Sven Elverfeld aus, dass ihr dieser Job 2023 die Auszeichnung „Sommelière des Jahres“ einbrachte.

Autor: Gabriele Gugetzer
Fotos: Carina Adam
03.06.2024

Liebe Frau Herpers, Ihre letzte E-Mail traf bei uns um 1.30 Uhr in der Früh ein.
Ja, ein Restaurantabend ist in der Regel lang. Dafür habe ich allerdings eine Viertagewoche.

Apropos Restaurant: Sie sind die Sommelière in einem Restaurant, das sich seit nunmehr 15 Jahren zu den Besten der Welt zählen darf. Wie ist es, für Sven Elverfeld zu arbeiten, einen Koch, der international geschätzt wird?
Eine Ehre! Es ist einfach cool, zu den unglaublich komplexen Gerichten Getränke im Pairing zu finden und zu servieren. Denn der Respekt vor Köchen wie Sven Elverfeld bei den Gästen ist groß.

Was versteckt sich hinter der Berufsbezeichnung Sommelière?
Kurz und knapp bedeutet es, ein Experte in Sachen Wein zu sein.

Gekühlte Getränke im Restaurant Aqua in der Autostadt
Weinflaschen der Sammlung des Restaurants Aqua im The Ritz-Carlton Wolfsburg

Der führende Fachverband Deutsche Sommelier-Union hat 1.200 Mitglieder. Knapp 40 Prozent davon sind Frauen. In der Welt der Haute Cuisine ist das eine ganze Menge. Haben Sie das Gefühl, dass Frauen sich für einen Job in der Weinwelt besonders gut eignen?
Wissenschaftlich gesehen haben Frauen die bessere Nase. Und ein gutes Näschen ist in unserem Beruf natürlich eine Grundvoraussetzung. Aber wenn ich ganz ehrlich sein darf: Mann oder Frau, das spielt für mich keine Rolle. Für mich kommt es darauf an, einfach den Job gut zu machen. Und das können Männer und Frauen genauso gut ... obwohl es ab der Magnum-Flasche (1,5 Liter) für Männer vielleicht leichter ist, aus solchen Flaschen auszuschenken.

Geben Sie auch alkoholfreie Empfehlungen?
Selbstverständlich, denn auch alkoholfreie Beratung von Wasser bis Kaffee gehört zur Sommeliersausbildung. Man sollte zum Beispiel wissen, welche Bestandteile Limonaden haben und was Saft von Nektar unterscheidet. Generell kann man sagen, dass alkoholfreie Essensbegleitungen selbst bei uns in der Dreisternegastronomie, wo der Gast unter echten Raritäten auf der Weinkarte auswählen kann, die er auch im gut sortierten Weinhandel nicht bekommt, immer wichtiger werden.

Wäre ein Smoothie beispielsweise ein gutes alkoholfreies Pairing?
Für mich ist das ein Frühstück, kein Getränk.

Was sind für Sie wichtige Aspekte bei einer gelungenen alkoholfreien Essensbegleitung?
Für mich müssen alkoholfreie Spezialitäten ähnlich funktionieren wie Wein. Ich achte auf den Zuckergehalt, ob der Gerbstoffgehalt im Getränk hoch ist oder es viel Kohlensäure enthält. Geht es beispielsweise um Gemüse, dann sollte das alkoholfreie Pairing nicht zu viel Zucker mitbringen. Ansonsten verliert das Gemüse an Geschmack oder geht dieser sogar ganz verloren. Fisch sollte nicht zu viel Säure in der Getränkebegleitung haben. Obwohl ... es gibt ja auch den Tequila-Effekt.

Den müssen Sie uns erklären.
(lacht) Kurz und griffig: Passt eigentlich nicht, dann aber doch. Nehmen Sie das Gericht Ceviche. Dabei handelt es sich um rohen Fisch oder Meeresfrüchte, die mit Zitrussaft, Salz und Chilis kurz mariniert werden. Durch diesen Vorgang wird das Eiweiß im Produkt denaturiert, wie wir das nennen; Fisch und Meeresfrüchte schmecken durch den Prozess des Marinierens von der Textur her wie gekocht, sind aber nie mit Hitze in Berührung gekommen. Zu diesem Gericht, das also relativ viel Säure und Salz enthält, dürfte Tequila, der einen hohen Alkoholanteil hat, eigentlich gar nicht passen. Tut es aber doch, obwohl es der Theorie dessen, was wir in der Ausbildung lernen, widerspricht. Denn eigentlich verstärkt ein hoher Alkoholgehalt Säure, was ja nicht wünschenswert ist. Trotzdem passt’s.

Alkoholfreie Sterneküche Anne-Helene Herpers Blick auf Glas

Und was wenn ein Gast eine Cola haben möchte zu den fein austarierten Gerichten, für die Ihre Kollegen in der Küche stundenlang gearbeitet haben?
Dann frage ich, wie sie diese genießen ... gerne serviere ich sie auch mit 3 ½ Eiswürfeln und ¼ Zitrone. Ich frage auch bei Ginger Ale die Garnitur ab, und in die Fanta kommt für mich dann auch eine Orange und Eis.

Sie sprechen das Ausgarnieren an. Wie wichtig sind für Sie Gläser? Ist das überhaupt noch zeitgemäß, so viel Wert auf unterschiedliche Gläser zu legen?
Viele Gläser sind auf jeden Fall zeitgemäß. Ich finde es toll, dass es für jeden Wein auch ein passendes Glas gibt. Sommelière-Serien von Glasherstellern bieten heute eine viel größere Auswahl als früher, zudem gibt es für spezielle Weine hergestellte Gläser, die die Charakteristik der jeweiligen Traube besonders hervorheben. Ein Fun Fact: Es gibt einen Hersteller, der ein spezielles Cola-Glas entwickelt hat und ich finde, dass Cola daraus wirklich besser schmeckt.

„Ein gutes Näschen ist in unserem Beruf eine Grundvoraussetzung.“

Anne-Helene Herpers
Alkoholfreie Sterneküche gedeckter Tisch im Aqua

Anne-Helene Herpers

Jahrgang 1988, ist fernab von Weinbergen in Gelsenkirchen aufgewachsen. Sie verbrachte nach absolvierter Hotelfachfrau-Lehre mehrere Jahre in der Schweiz. Zurück in Deutschland, arbeitete sie unter anderem bei Sternekoch Nelson Müller. 2017 absolvierte Herpers berufsbegleitend eine Weiterbildung zur Sommelière am „International Wine Institute“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler und stieß bald darauf zum Team des „Aqua“ in der Autostadt. Dort war Anne-Helene Herpers zuerst Commis Sommelière, Assistenz des Sommeliers. 2022 übernahm sie selbst den Posten der Sommelière des 3-Sterne-Restaurants.

Alkoholfreie Sterneküche Anne-Helene Herpers riecht in Glas